Mittelalter-Darstellung

Das sogenannte „Neue Mittelalter“ ist eine europaweite Freizeitbewegung mit zigtausenden Aktivisten. Allein in Deutschland finden jährlich über 800 mittelalterliche Stadtfeste, Burgenfeste, Märkte, Szenetreffen und ähnliche Veranstaltungen statt.

Es gibt zahllose Romane über das historische Mittelalter und Sachbücher zu Teilbereichen des Mittelalterhobbys. Um sich als aktiver „Mittelalterlicher“ mit Gewandung, Ausstattung, historischen Kenntnissen und mittelalterlichen Fertigkeiten beim wohlversehen Burg- oder Lagerleben, auf Märkten oder Turnieren des „Neuen Mittelalters“ zurecht zu finden oder auch selbst Veranstaltungen organisieren möchte, benötigt man eine gehörige Portion an Leidenschaft und Interesse. Aber ist das nicht bei jedem Hobby so?

Ein Mittelaltermarkt oder mittelalterlicher Markt, bezeichnet heute eine Marktveranstaltung mit Volksfestcharakter in einem vom Mittelalter inspirierten Ambiente. Mittelaltermärkte weisen seit den 1980er Jahren eine wachsende Zahl von Darstellern und Besuchern auf. In den USA gibt es mit den Renaissance Fairs schon seit den 1960er Jahren ein ähnliches Phänomen. Sowohl die Darsteller und Mitwirkenden, als auch ein Teil der Besucher, kleiden sich in fantasievolle oder mittelalterlich wirkende, ein geringerer Teil hingegen in präzise rekonstruierte Gewandungen. Trotz des Begriffes „Mittelalter“ im Namen und obwohl viele Veranstalter mit diesem Begriff werben, wird auf Mittelaltermärkten meist eine bloße Vorstellung vom Mittelalter gezeigt; die Veranstaltungen haben in der Regel nichts mit einer authentischen, also einer geschichtlich genauen Rekonstruktion eines mittelalterlichen Marktes zu tun. Daher rechnet man diese Veranstaltungen eher dem Histotainment.

In der Mittelalter-Szene wird nicht nur eine Epoche des Mittelalters behandelt, sondern mehrere verschiedene, was dazu führt, dass diese vermischt werden. Zum Beispiel werden Kämpfe zwischen Wikingern aus der Zeit um 800 n. Chr. gegen Ritter aus dem Hochmittelalter dargestellt. Als Treff- und vor allem Schnittpunkte der unterschiedlichen Darstellungen lassen sich vor allem Mittelaltermärkte nennen.

Auf diesen Märkten treten Szenenmitglieder entweder als Schausteller oder auch als normaler Gast auf. Da auf diesen Märkten auch die so genannten Ritterspiele eine Attraktion darstellen, man jedoch um einen hohen Grad an Realismus bemüht ist, werden für diese meist professionelle Schausteller engagiert. Als weitere Treffpunkte fungieren auch Konzerte und Festivals, zum Beispiel das Ritterturnier zu Kaltenberg (D) oder das Folkwoods-Festival (NL). Die deutsche Szene, im Gegensatz zu anderen aus Frankreich oder England z.B., erhält kaum staatliche Unterstützung.

Warum wir immer noch gern im Mittelalter leben

Menschen verkleiden sich gern als Ritter und Burgmaid, Bands wie Schelmish oder Subway To Sally berufen sich auf diese Epoche, Computerspiele wie „World Of Warcraft“ und Filme wie „Der Ritter aus Leidenschaft“ wären ohne diese Periode undenkbar. Dabei war das Mittelalter eine Zeit voller Angst, Hunger und Unfreiheit. Manche sagen, das Mittelalter sei schon mit der Renaissance zu Ende gegangen. Andere nennen die Erfindung des Buchdrucks, die Reformation oder die Entdeckung Amerikas als Schlusspunkt jener Epoche. Und ganz Verwegene behaupten gar, das Mittelalter sei erst vorbei gewesen, als die französische Revolution das Heilig-Römische Reich hinwegfegte. Doch in diesen Tagen kann man den Eindruck bekommen, das Mittelalter dauere immer noch an.

Aber warum das alles? Was finden junge Menschen an einer stinkenden Epoche so attraktiv, die wesentlich von Hunger, Pest, Angst und Unfreiheit geprägt wurde?

Ganz egal, ob man sein Mittelalterbild aus einer wissenschaftlich einwandfreien Schilderung des Europas vor dem Jahre 1000 bezieht oder aus einer freien Darstellung dieser Zeitepoche in Filmen (z.B. Der Name der Rose, Ritter aus Leidenschaft, etc.) – immer steht an jeder Ecke ein Galgen oder Scheiterhaufen, schon ein fauler Zahn kann den Tod bedeuten und fremde Neuankömmlinge bringen nicht Multikulti und Latte Macchiato, sondern es sind Wikinger und Mongolen, die ein bisschen plündern und schänden wollen.

Also warum? Ganz einfach …

Das Mittelalter war bunt und intensiv

Denn gerade diese Unterschiede machen die mittelalterliche Welt für uns Heutige so faszinierend:
Sie war – obwohl oberflächlich von Dreck und Dunkelheit gefärbt – bunter, vielgestaltiger und intensiver. Seitdem sind die Unterschiede zwischen der Gegenwart und dem Mittelalter noch größer geworden – die Mannigfaltigkeit der Daseinsformen hat weiter abgenommen. Im Mittelalter konnte man noch Mönch, Krieger oder Bauer sein. Keine dieser Optionen steht uns heute in ihrer vollen Pracht offen.

Sicher gibt es noch ein paar Soldaten und Landwirte, aber für keinen von ihnen ist sein ganzes Leben so sehr durch diesen „Stand“ definiert, wie es für Krieger und Bauern im Mittelalter der Fall war. Sogar Bettler waren damals nicht einfach Sozialversager, die auf ihrem Lebensweg irgendwo falsch abgebogen waren und nun von Harz IV leben müssen, sondern auch sie hatten ihren festen Platz im göttlichen Heilsplan.

Heute gibt es noch nicht einmal mehr Handwerker so wie sie sich im Mittelalter verstanden – als wahre Schöpfer, die aus einem Stück Stein, Metall oder Holz mit ihrer Kunst einen ganz neuen Gegenstand schaffen konnten. So etwas existiert ebenso wie die wenigen Mönche höchstens in winzigen Nischen unserer schnelllebigen Gesellschaft. Stattdessen sind wir alle nur noch Konsumbürger und Handlanger.

Weder Religion noch Aberglaube bedeuten heute etwas

Auch das im Mittelalter omnipräsente und alltägliche Übernatürliche ist fast gänzlich aus unserem modernen Leben verschwunden. Weder Religion und Aberglaube, noch Trance und Vision bedeuten etwas. Man braucht sie nicht mehr als Trost im Angesicht des Todes. Denn auch den Tod haben wir verdrängt: Bis wir 70 sind, handeln wir so, als würden wir ewig leben. Ohne diese Aspekte ist unser Leben ist wie eine Autobahn. Gerade und staugefährdet.

Aber viele merken den Unterschied doch. Und sie nutzen die virtuellen Möglichkeiten, wenigstens in der Freizeit eine der zahlreichen Identitäten anzunehmen, die es heute nicht mehr gibt. In Rollenspielen oder auf Mittelaltermärkten kann jeder für ein paar Stunden ein Krieger und Ritter sein, ohne Blut zu vergießen, als Hexenmeister zaubern, ohne die Höllenstrafen oder die Inquisition zu fürchten, oder Schwerter schmieden, ohne diesen Stand gleich auf seine Kinder und Kindeskinder vererben zu müssen. Die Popularität des Mittelalters ist zu einem guten Teil dadurch begründet das es weniger nach Schule und staubigem Museum schmeckt.